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Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Mo 28. Jul 2025, 20:20
von walter.mittwoch
Hallo Max!
Ich bin Bastler in Holz- und Metall - und das seit 60 Jahren - aber kein Restaurator.
Ich habe zwar schon einiges mit Kaltleim verklebt, aber mit Warmleim habe ich noch nie gearbeitet, deshalb meine Frage: Du schreibst, dass du feine Risse mit Warmleim füllst.
Wird der Leim so dünnflüssig, dass er auch in feine Risse eindringt?
Beim Drechseln ist es ja auch manchmal so, dass das Holz feine Risse hat - die stabilisiere ich dann mit dünnflüssigem Sekundenkleber - das funktioniert ganz gut. Ich überlege, ob ich das auch mit Warmleim machen könnte.
Danke für die Weiterführung deiner Dokumentation - ist sehr, sehr interessant für mich.
Schöne Grüße
Walter
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Mi 30. Jul 2025, 13:40
von MarkusB
Hallo Max,
ein toller Bericht, vielen Dank.
Ich werde ihn mir bestimmt häufiger anschauen, um aus ihm zu lernen.
Bitte unbedingt weiter schreiben mit möglichst vielen Informationen.
Viele Grüße
Markus
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Fr 1. Aug 2025, 00:05
von MaxS
Guten Abend,
Restaurator bin ich auch keiner, aber man kann sich vieles anlesen und ausprobieren. Interesse ist häufig (meines Erachtens) mindestens so wichtig oder gar wichtiger als eine Ausbildung. Denn mangelndes Interesse macht jede noch so gute Ausbildung und entsprechendes Wissen nichtig, egal in welchem Bereich.
Was den Warmleim, also Haut/Knochenleim angeht: Man kann sich dafür einen Leimkocher kaufen - oder, für den sowieso kleinen Bedarf: einen gebrauchten, ganz einfachen Babyfläschchenwärmer für einen meist einstelligen Euro-Betrag erstehen und ein ausgespültes schlankes Glas verwenden (Senf, Meerrettich, usw.). Reicht vollkommen aus und das Glas erlaubt auch einen guten Einblick ins Geschehen.
Zu wässriger Leim bindet meiner beschränkten Erfahrung nach nicht wirklich gut ab. Die richtige Konsistenz ist, wie bei vielen Techniken von früher, sicher zu einem erheblichen Teil Gefühls- und Geschmackssache. Ich würde als Vergleich z.b. sehr flüssigen Waldhonig oder Speiseöl heranziehen - "dünner", also niedrigviskoser / wässriger sollte der Leim nicht sein.
Zum Verleimen von Rissen ist das damit natürlich nicht vergleichbar mit dem extrem dünnflüssigen niedrigsviskosem Sekundenkleber, der durch Kapillarwirkung ja sehr schnell auch in feinste Risse zieht.
Bei den vielen Rissen, die durch die zahllosen eingeschlagenen Nägel mit verursacht waren, habe ich das Holz ein wenig mit dem Heißluftgebläse vorgewärmt, um ein frühzeitiges Gelieren zu verhindern. Haut/Knochenleim ist ja wenig anderes als weniger gut gereinigte Gelatine. Ein moderater Infrarotstrahler wäre sicher besser, weil er das Holz weniger austrocknet; sowas habe ich aber nicht.
Danach habe ich den Leim mit einem feinen Pinsel aufgetragen und dann gleichzeitig, z.B. mit einem Vorstecher, den Riss immer wieder ein wenig geöffnet und geschlossen, was zum einen etwas Platz für den Pinsel schafft und zum anderen den Leim im Riss verteilt. Manchmal kann eine kleine Einwegspritze hilfreich sein, die dann aber nicht abkühlen darf, also bei Benutzung immer im Leimglas liegt. Damit kann man den Klebstoff dann unter Druck einspritzen.
Sobald der Leim ausreichend im Riss verteilt ist und idealerweise rundherum leicht austritt, spannt man dann die Stelle nach Bedarf und lässt den Leim abbinden.
Überschüssiger Leim lässt sich entweder gut direkt frisch nass abwischen oder aber in einer Konsistenz zwischen Tortenguss und Gummibärchen abrubbeln.
Mit Fischleim, den ich bis dato noch nie genutzt habe, soll der ganze Anwärmaufwand und der Zwang zum sehr zügigen Arbeiten wegfallen. Nachdem ich aber sehr reichlichen Vorrat an Leimgraupen/perlen habe, verwende ich lieber den und nehme den kleinen Mehraufwand in Kauf.
Ich werde versuchen, weiterhin viele Infos mit in den Bericht zu packen. Es soll ja möglichst nachvollziehbar sein, denn dann kann man vielleicht daraus lernen (oder mir erklären, wo ich genau Unsinn gemacht habe).
Viele Grüße
Max
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Fr 1. Aug 2025, 19:58
von Idealist47
Guten Abend in die Runde, guten Abend Max,
ich gestehe, habe dein Bericht nur überflogen, aber das kommt mir doch sehr vertraut vor. Denn ich habe ca. 12 Jahre beruflich Holzobjekte
restauriert und viel Erfahrung gesammelt. Die Leidenschaft geht nicht verloren. Historische Objekte sind in ihrem Wert zu erhalten.
Kostbarkeiten unserer Ahnen.
Nun wenn es Fragen und Probleme geben sollte, stehe ich gerne die nächsten 10 Tage zu Verfügung. Dann ist eine Reise geplant.
Bin gespannt wie du weiter vorgehst.
Anbei gibt es Glutinleimmodifikationen. Diese Warmleime können so verändert werden, das sie z.b. wasserfest und kalt verarbeitet werden können.
Die Kraft bleibt erhalten. Manchmal ist es einfach entspannter, Verleimungen zu berarbeiten.
Dieses frühe süddeutsche Möbel hat sicher Knochenleim in seinen Verbindungen. Sprich aus meiner Erfahrung.
Gutes Gelingen
Martin
Restaurator im Handwerk
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Mo 4. Aug 2025, 00:11
von MaxS
Guten Abend,
wie schon eingangs geschrieben: Der Bericht, den ich hier Stück für Stück schreibe, habe ich schon vor zwei Jahren begonnen - der Stuhl ist also längst fertig. Nur das Schreiben des Beitrags habe ich lange geschoben, weil diverse Umstände Zeit und Motivation anderweitig beschlagnahmt hatten. Und nun arbeite ich diesen "Rückstand" eben sukzessive ab.
Während der Arbeiten an diesem Stuhl hätte ich bei manchen Arbeiten eine erfahrene Meinung sicher gerne in Anspruch genommen, aber durchs selber tun und das selbstständige Suchen von Lösungsmöglichkeiten lernt man wenigstens dazu.
Es geht also weiter mit der Zarge, insb. dem Vorderteil. Dort ist die Schwalbenschwanznut, bei der Risse und Ausbrüche bereits geleimt / geflickt wurden.

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Der Flicken wurde mit dem Einhandhobel verputzt. Die in sehr schlechtem Zustand befindliche Schwalbenschwanzverbindung muss erneuert werden. Nach längerer Überlegung wurde auch hier neues Material eingesetzt. Hier habe ich mich bewusst für ein anderes Material entschieden: die Weißbuche sollte den Belastungen gut standhalten. Damit sollten weitere Reparaturen an dieser Stelle zumindest in weite Ferne rücken.
Dafür wurde präzise angerissen (Kreppband hilft bei der Sichtbarkeit), dann das defekte Material an den Enden zuerst ausgebohrt (Tischbohrmaschine) und dann der Zwischenraum sauber ausgestemmt. Ein Stück Weißbuche wird dann sauber eingepasst und eingeleimt.

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Am Steg wird nun die Fläche plangefräst; die Ecken werden von Hand bearbeitet.

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Es tauchen wieder mal lose Stellen bzw. Risse auf, die dann zu leimen sind.

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Der Steg wird nun endlich komplettiert, das heißt: ein passendes Stück Fichte wird aufgeleimt.

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Weiter geht es gleich mit den vielen kleinen Nagellöchern.
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Mo 4. Aug 2025, 00:40
von MaxS
Die Zarge war, wie ja schon mehrfach zu sehen, von vielen Löchern durchsetzt, die das Holz insgesamt sicher etwas geschwächt haben und Ausgangspunkt vieler Risse waren. Nach dem Verputzen des harten Weißbuchenflickens (das waren nur wenige Zehntel Überstand) werden nun die ganzen Nagellöcher mit kleinen "Holznägeln" verschlossen. Die kann man aus einem Reststück ja schnell abstechen. Nach dem Abbinden des Leims werden die Überstände einfach bündig gestochen.

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Ein Riss in einem hinteren Fuß war ebenfalls zu schließen. Das vorhandene Loch einer Schraube wurde hier als Zugang genutzt und der Riss von innen her geleimt. Das Klebeband schützt vor übermäßigem Leimaustritt und dichtet außerdem ein wenig an der Spritze ab. Der rundherum ausgetretene Leim zeigt dann, dass das Verfahren wohl erfolgreich war. Weitere ähnliche Arbeiten waren an den Verbindungen zu den vorderen Füßen notwendig und kleinere Risse gab es auch noch weitere, aber das kennen wir ja schon. Photos davon habe ich kaum, aber da wäre auch nichts neues zu sehen.

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Nach dem Trocknen des Leims wird der Steg zwischen den hinteren Beinen mit einem sehr scharfen, breiten Stemmeisen oben plangearbeitet.

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Die nächste größere Etappe ist die Ertüchtigung der Verbindung zwischen Zarge und Hinterbeinen. Ein Zapfen wird zur Hälfte ersetzt, der andere komplett. So weit es geht, wird mit der Oberfräse ausgefräst. Um das eher mürbe Holz möglichst zu schonen, wird das restliche Material langsam mit einem scharfen Holzbohrer entfernt. Die große Maschine sichert einen geraden Verlauf, den ich mir da mit dem Akkuschrauber nicht zugetraut hätte.
Mir war es hier wichtig, dass es keine Ecken im Schlitz für die Fremdzapfen gibt, sondern runde und damit sanfte Übergänge. Ich erhoffe mir dadurch eine verringerte Rissneigung und eine bessere Verbindung, aber ich habe das nicht überprüft.

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Das war es für heute Abend erstmal. in den kommenden Beiträgen wird das Gestell endlich wieder verleimt und es führt kein Weg mehr an den diffizilen Arbeiten an der Lehne vorbei.
Viele Grüße
Max
Re: Instandsetzung / Restaurierung eines Biedermeierstuhls
Verfasst: Mo 11. Aug 2025, 18:47
von Johannes M
Hallo Max,
ich bin begeistert von deiner tollen Arbeit und Dokumentation.
Es grüßt Johannes