Bauen von 10 Stühlen

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Walter Eicher
Beiträge: 131
Registriert: Sa 22. Jul 2017, 12:25

Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Walter Eicher »


Hallo zusammen,

Für den noch zu bauenden Esstisch im Wohnzimmer und für die Küche will ich mir 10 Stühle aus Esche bauen.

Um nicht komplett auf die Nase zu fallen, habe ich (zum Glück) als erstes einen Prototypen gebaut.

Die Lehne ist bei diesem Stuhl zu steil (95° zur Sitzfläche), die Sitzfläche ist zu wenig tief, die Beine sind zu stark zugespitzt und die Sitzfläche ist mit 10mm ein wenig zu Schwach.

Beim Bau des Prototypen konnte ich auch ein wenig mit Schablonen und Vorrichtungen experimentieren um die Effektivsten Hilfsmittel zu bestimmen. Ich möchte die Stühle innerhalb vernünftiger Zeit bauen können.
Dabei sind die folgenden Schablonen und Vorrichtungen entstanden auf dem Bild von oben nach unten.
- Einspannvorrichtung zum Zuspitzen der Vorderfüsse
- Einspannvorrichtung zum Zuspitzen des linken Hinterfusses
- Einspannvorrichtung zum Zuspitzen des rechten Hinterfusses
- Ablängschablone für die Hinterfüsse
- Frässchablone für die Hinterfüsse

Ich habe relativ kleine Kniehebelspanner gekauft. Mit den grossen (wie zB. denen von Felder) hätte ich beim zuschneiden die Spanhaube demontieren müssen.

Für die Woodrat habe ich mir noch eine Vorrichtung gebaut die in der Grösse an die Stühle angepasst ist.

Beim Bau des Prototypen habe ich bemerkt, dass es viel zu lange dauert wenn ich die Teile mit Schlitz und Zapfen Fräse und dann die Schlitze noch rechteckig ausstemme. Darum habe ich mich entschieden nur Schlitze in alle Teile zu fräsen und die Verbindungen mit falschen Zapfen herzustellen.

Vom Herstellen der Einzelteile habe ich leider keine Fotos, ich war nach dem Umkonstruieren und umbauen der Schablonen und Vorrichtungen so Heiss darauf endlich loslegen zu können, dass ich das Fotografieren schlicht vergessen habe ;-)

Zuerst habe ich mir Bohlen mit möglichst engstehenden Jahresringen ausgesucht und daraus Bretter für jeweils 3 Hinterbeine zugeschnitten, abegrichtet und auf 40.5 mm (0.5mm Schleifzugabe) Dickengehobelt. Mit der Frässchablone und einem Zimmermansbleistift die Konturen aufgezeichnet und dann mit dem Bandsägelchen (Metabo BAS 260 Swift) zugeschitten. Das kleine Ding hat sich wacker gehalten aber ein Sägeblatt hat das zeitliche gesegnet.

Zum fräsen habe ich die Schablone mit Teppichklebebandstreifen auf die Rohlinge geklebt und auf dem Frästisch mit dem Bündigfräser mit Kugellager am Schaft bis auf etwas mehr als die Hälfte, dann mit dem normalen Bündigfräser ohne Schablone die andere Hälfte gefräst. Einige Rohlinge sind mir beim fräsen richtiggehend zersplittert. Das mit der Holzauswahl habe ich scheinbar noch nicht so im Griff ;-)

Irgend jemand hat im Forum mal einen Satz Bündigfräser mit ziehendem Schnitt vorgestellt, wahrscheinlich wäre es mit solchen Fräsern besser gegangen, aber ich hatte schon richtig Mühe den Satz Bündigfräser zu finden den ich benutzt habe.


Die Hinter- und Vorderbeine und die Diagonalstreben für die Sitzfläche


Längs- Quer und Rückenlehnenstreben zum Teil fertig gefräst und mit eingeleimten Zapfen.

Als ich am Schluss alle Teile gesägt und gehobelt hatte, lagen eine ganze Menge Abschnitte herum. Aus diesen habe ich so viele Brettchen mit ~15mm Dicke gesägt wie es gefahrlos möglich war. Diese Brettchen habe ich auf 10mm nur Dickengehobelt, dann daraus 40mm, 30mm und 15mm breite Steifen gesägt und auf dem Frästisch mit einem R5.0 Radiusfräser die Längskanten Rundgefräst.

Ein wenig Kopfzerbrechen machte mir das Zusägen der falschen Zapfen aus diesen Brettchen auf eine Länge von 30mm.
Das Sägeblatt machte derart Wind, dass die Zapfen immer irgendwie ins Sägeblatt gezogen wurden und dann durch die Werkstatt flogen.
Nach ein wenig Nachdenken entstand die folgende Vorrichtung


Eine Tupperware Dose mit einem Schlitz zum Sägeblatt und einem Loch für den Staubsauger.


Jetzt flutschten die Teile in diese Box.
So jeweils nach 20 Teilen musste ich die Box leeren.
Das ganze hat so gut funktioniert, dass ich richtiggehend in einen Rausch gekommen bin und gar nicht mehr aufhören konnte solche Zapfen herzustellen. Wahrscheinlich habe ich für die nächsten Jahre genügend falsche Zapfen auf Lager ;-)



Das Fräsen der Schlitze ist auf meiner Woodrat dank dem Längenmesssystem ein Vergnügen.


Ich habe auf den Zeichnungen die Fräsungen im Koordinatensystem vermasst.

So musste ich für jedes Teil nur den Nullpunkt einstellen und konnte dann von Fräsung zu Fräsung kurbeln.

Die Schlitze in diese Teile wo man normalerweise die Zapfen Fräst habe ich in der Länge mit +0.4mm gefräst. Die Zapfen sitzen derart stramm, dass man sie mit dem Nylonhammer setzen muss.



Die anderen Schlitze habe ich in der Länge mit +2mm gefräst, so habe ich beim zusammenstellen noch Spielraum um Toleranzen auszugleichen.

So, das war's erstmal... weiter geht's wenn die Stühle fertig gebaut sind.

Herzliche Grüsse
Walter



Veronika Zenz
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Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Veronika Zenz »


Danke für diese schöne Doku!
Beim Zusägen der falschen Zapfen hätte ein Abweiser wohl auch den Zweck erfüllt, deine Konstruktion ist aber um einiges origineller.

Auf einem Bild glaube ich eine Kombi Kreissäge-Tischfräse zu erkennen. Die Bündigfräsungen hast du aber scheinbar an einem Frästisch gemacht, darf ich fragen warum?

Ich freu mich schon auf die Fortsetzung!
Liebe Grüße,
Veronika



Walter Eicher
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Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Walter Eicher »


Hallo Veronika,

mit dem Abweiser (diesem Keil, welcher durch Magneten gehalten wird) habe ich es auch probiert, das hat aber überhaupt nicht funktioniert.

Entweder blieben die Zapfen an der Spitze hängen oder schwebten gleich wieder nach vorne in das Sägeblatt.

Warum die Bündigfräsungen am Frästisch:
- ich habe noch nicht das nötige Bündigfräswerkzeug für die Tischfräse
- das Einrichten des Frästisches ist viel bequemer
- die Formatkreissäge bleibt benutzbar
- für kleine Teile ist mir der Frästisch irgendwie sympathischer ;-)

Herzliche Grüsse
Walter



Heiko Rech
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Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Heiko Rech »

[In Antwort auf #64761]
Hallo Walter,

an Stühle habe ich mich (bis auf einen Adirondack) noch nicht gewagt. Ich glaube es war Le Corbusier, der mal gesagt hat, es sei einfacher ein Haus zu entwerfen, als einen bequemen Stuhl.

Deine Zapfen- Fang- Box ist sehr interessant!

Ich bin gespannt, wie es mit deinen Stühlen weiter geht.

Gruß

Heiko



Gerd Fritsche
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Re: Bauen von 10 Stühlen *MIT BILD*

Beitrag von Gerd Fritsche »

[In Antwort auf #64761]
Hallo Walter,
ich habe zwar vor einiger Zeit keine 10 Stühle gebaut aber ein Esszimmer aus:
1 Schrank, einem Tisch, 8 Stühlen und zwei Sesseln.
Ich hatte einen orginalen Worbsweder Sessel von Friedrich Vogeler geschenkt bekommen, der trotz der etwas steifen Linien sehr bequem ist. Diesen habe ich nachgebaut und so schwer war es, auch für einen Metaller, garnicht.
Dann bin ich in Serie gegangen und das ist das Ergebnis. Alles massiv Eiche und fast alles per Hand. Auf dem Bild sind nur 6 Stühle.
Mir gefällt es noch immer.
Gruss Gerd.


Franz Kessler
Beiträge: 2298
Registriert: Mi 27. Nov 2019, 21:09

Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Franz Kessler »


Hallo Walter

Mit großem Interesse hab ich Deinen Bericht gelesen, ich bin auch der Meinung, Stühle herstellen ist was besonderes und hat einen hohen Schwierigkeitskrat, finde aber Deine Vorgehensweise sehr gut.
Was meinst Du mit Sitzfläche ist zu wenig tief? Die Höhe der Sitzfläche oder die Tiefe von Vorderkante Stuhl bis zur Lehne?
Noch mehr Interesse hatte ich nach dem lesen Deines Benutzerprofils, als ich las: Woodrat Marke Eigenbau, hast Du über Deinen Eigenbau im Forum was eingestellt?
Ich möchte mich mit diesem Thema auch wieder beschäftigen, schön wäre es wenn ich von Deinen Erfahrungen einiges mitnehmen könnte.

Gruß Franz



Franz Kessler
Beiträge: 2298
Registriert: Mi 27. Nov 2019, 21:09

Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Franz Kessler »


Hallo Walter

Entschuldige, ich wusste das wir im Forum mal das Thema Diskutierten, ich habe nachgesehen und den alten Beitrag gefunden, mit Deinem Namen hab ich aber das nicht mehr in Verbindung gebracht, ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis.
Aber Du könntest Deine Erfahrungen mit Deiner Maschine darlegen und ob Du neue Erkenntnisse hast?

Gruß Franz



Walter Eicher
Beiträge: 131
Registriert: Sa 22. Jul 2017, 12:25

Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Walter Eicher »

[In Antwort auf #64765]
Hallo Heiko,

ich habe immer gedacht, dass ein wenig Selbstüberschätzung beim Hobbyschreinern enorm weiterhilft ;-)

Aber nach dem Zeichnen des Stuhls hatte ich zum ersten mal ein flaues Gefühl im Magen und war knapp davor aufzugeben.

Der Chef der Schreinerei welche mich in allen Belangen unterstützt, hat mir wieder Mut gemacht mit der Idee zuerst einmal einen Prototypen zu bauen.
Seine aufbauende Kritik am Prototypen hat mich dann endgültig Motiviert das Projekt in Angiff zu nehmen.

Herzliche Grüsse
Walter



Walter Eicher
Beiträge: 131
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Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Walter Eicher »

[In Antwort auf #64766]
Hallo Gerd,

alle Achtung, das sieht nach einer Menge Arbeit aus.
In reiner Handarbeit könnte ich sowas nie Herstellen.

Als "Rechtwinkler" mag ich aber einfachere Formen.

Eine Polsterung habe ich mir auch überlegt, aber das Argument meiner Nachbarin "Deine rabauken Katzen werden Dir die Polsterung ganz schön zerfleddern" konnte ich nicht wiederlegen ;-)

Herzliche Grüsse
Walter



Walter Eicher
Beiträge: 131
Registriert: Sa 22. Jul 2017, 12:25

Re: Bauen von 10 Stühlen

Beitrag von Walter Eicher »

[In Antwort auf #64768]
Hallo Franz,

mit der Tiefe der Sitzfläche meine ich von der Vorderkante Stuhl bis zur Lehne.

Dass die Lehne zu steil ist, habe ich beim ersten hinsetzen selber gemerkt. Die anderen Punkte hat "mein" Schreiner angebracht.
Die zu spitzen Füsse wegen der Lebensdauer und die zu kleine Tiefe der Sitzfläche wegen der Bequemlichkeit bei längerem sitzen.

Ohne Woodrat könnte ich mir das Schreinern nicht vorstellen.
Bis jetzt gab es noch kein Projekt wo sie nicht zum Einsatz kam.
Das elektronische Messystem ist bei den Stühlen das erste Mal richtig
im Einsatz und hat sich voll Bewährt. Wenn ich mir vorstelle, dass ich
da für jede Fräsung Anschläge stellen müsste, dann sträuben sich mir die
Nackenhaare.

Herzliche Grüsse
Walter



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